Autobiographie mit Fotos 

Teil 7

Ortrun hat mich bei ihren Eltern, Ärzten, im Wohngebiet Berlin-Buch angesiedelt. Ich hatte das Gefühl, dass Ortruns Eltern mit der Entscheidung ihrer Tochter unzufrieden waren. Deshalb habe ich versucht, ihre Aufmerksamkeit so wenig wie möglich zu erregen. Wenn sie bereits bei der Arbeit waren, wachte ich im Gästezimmer auf, frühstückte und ging für den Tag in die Innenstadt. Im ersten Monat in Berlin hatte ich ständig Hunger, weil das Geld sehr knapp war und ich jeden Pfennig gespart habe. Jeden Tag traf ich auch jemanden in der Hoffnung, dass ich zu Mittag essen könnte. Es hat nicht immer geklappt. Oft war das meine Schuld, denn auf die Frage, ob man Hunger habe, verneinte ich. Dies war eine „sowjetische“ Gewohnheit, die man ablegen musste, um nicht zu verhungern. Mein erster Versuch in einem Supermarkt scheiterte, weil ich nicht wusste, was ein Pfand ist. Später erklärten sie mir, dass der Pfand ein Pfand sei und ich die 1 DM zurückbekomme, indem ich den Kaufwagen wieder an seinen Platz stelle. Nachdem ich bei der Eröffnung meiner Ausstellung am 31. Januar 1992 das erste Foto (40 DM) verkauft hatte, stellte mich Jörg Beuge dem Besitzer eines kleinen Ladens vor, damit ich dort Müsli, Brot und Tee kaufen konnte. 

Wie habe ich Berlin im Jahr 1992 gesehen? 

 

Häuser im Prenzlauer Berg, Berlin 1992 

 

Denkmal für die Künstlerin Käthe Kollwitz in der nach ihr benannten Straße, in der meine erste Ausstellung stattfand. Berlin 1992 

 

„Neue Synagoge“ in der Oranienburger Straße. Eine der wenigen Synagogen, die die Kristallnacht überstanden haben. Berlin 1992 

 

Anarchistisches Viertel, wo sich heute der Potsdamerplatz befindet, Berlin 1992

 

Anarchistisches Viertel – 2, Berlin 1992 

 

Französischer Dom am Gendarmenmarkt , Berlin 1992 

 

Am siebten Tag meines Lebens in Berlin fragte mich Vater von Ortrun, wie ich mich mit öffentlichen Verkehrsmitteln fortbewege. „Ohne Fahrkarte“, antwortete ich. Tatsache ist, dass es in der Berliner U-Bahn keine Drehkreuze gibt. Du bist einfach in der U-Bahn gestiegen und losgefahren. An jedem Bahnhof konnten die Fahrdienstleiter in den Wagen einsteigen und mussten dann ein Bußgeld von 40 DM zahlen. Außerdem, so wurde mir gesagt, könnte man „in den Computer gesteckt“ werden und es könnte Probleme geben. Vater von Ortrun gab mir eine Fahrkarte für 4 Fahrten mit einem entwerteten Punkt. Ich habe den zweiten Punkt 15 Mal mindestens gelocht, bis mir erklärt wurde, dass jeder Punkt nur einmal gelocht werden muss. Ich hätte es selbst erraten sollen, aber... Und so kehre ich nach zehn Uhr abends in das Wohngebiet zurück, durchbreche den dritten freien Punkt. Zwei Polizisten mit einem hübschen Dobermann-Pinscher steigen in den Waggon und überprüfen meinen gültigen Fahrschein. Keine Fragen. Ein paar Tage später erreichte ich den vierten und letzten Punkt und hatte wieder Kontrolle. Die Rettung kam von meinen neuen Bekannten, einer Familie pensionierter Auswanderer aus Riga. Sie sagten, man könne nicht ohne Ticket reisen. „Wir geben dir 20 DM, du zählst 20 DM eigene dazu und kaufst dir eine Monatskarte“. Genau das habe ich getan. Ich bin nie wieder ohne Ticket gereist, auch nicht in Russland.

Am 20. Februar 1992 lief mein zweimonatiges Visum ab und mir wurden zwei weitere Ausstellungen angeboten. Ich verlängerte mein Visum um einen Monat (maximal drei Monate) und bat Sabine Müller, mir bei der Suche nach einer Wohnung oder einem Zimmer zu helfen, in dem ich für den verbleibenden Monat leben könnte. Sie machte mich mit dem Keramiker Frank Verchau bekannt, der bei der Eröffnung meiner Ausstellung dabei war.

 

Frank Verchau, Berlin 1992 

Wir wohnten in einer Zweizimmerwohnung, die er in der Jablonskistraße gemietet hatte. Ich habe seinen kleinen Sohn fotografiert, den er einmal in der Woche traf.

Was für wundervolle Menschen ich in Berlin kennengelernt habe!

In den ersten Tagen kam ein junges Mädchen zur Ausstellung, die selbst Fotografin war. Meine Bilder gefiel ihr und am nächsten Tag kam sie mit der Galeristin Christina Radack zur Ausstellung. Christina verstand Englisch nicht gut, vor allem mein Englisch, und lud mich zu sich nach Hause ein. „Ein Freund wird zu mir kommen und bei der Übersetzung helfen.“ Ihre Freundin kaufte von mir ein Foto des Künstlers Oleg Bordey.

 

Maler Oleg Bordey, Gorki 1988 

 

So begann meine Freundschaft mit Christina Radack. Ihr verdanke ich viele Bekanntschaften mit Menschen, die mich in Deutschland unterstützt haben.

Es gibt Menschen, zu denen spürt man sofort eine innere Verbundenheit. Maya Elik wurde für mich zu einer solchen Person. Eines Tages zeigte mir Christina Radack ein Foto eines russischen Pianisten, den sie fotografierte, und gab mir seine Adresse. Der Mann, der mir die Tür öffnete, sagte, dass der Pianist nicht mehr hier wohne, seine Frau aber bald zurückkehren würde und ich auf sie warten könne. Es war Maya Elik, eine Musikwissenschaftlerin aus St. Petersburg. Sie wurde 1933 in Prag geboren. Sie erzählte mir, dass sie sich an die Angst ihrer Eltern erinnere, als diese im letzten Moment aus der von den Nazis besetzten Tschechoslowakei flohen, obwohl sie erst fünf Jahre alt war. Sie landeten gegen ihren Willen in der UdSSR, aber es gab keinen Ort, an dem sie fliehen konnten.

1995 lud mich Maya zu sich nach Detmold ein und organisierte meine Ausstellung bei ihr zu Hause. Maya war sehr guter Mensch...

 

Maya Elik, Essen 1995

Eine weitere Bekanntschaft verdanke ich Christina Radack. 1994, nach fünf Ausstellungen in Berlin, sagte ich Christina, dass ich gerne nach Köln zu einer Galerie gehen würde, die mir im folgenden Jahr eine Ausstellung anbot, aber ich hatte keine Übernachtungsplatz. „Warte, ich habe jetzt einen Fotografen aus Köln in meiner Galerie ausstellen lassen, ich rufe ihn an“, sagte Christina. Sie redete sehr lange und überzeugte den Fotografen, mich für ein paar Tage mit einer Übernachtung bei ihr zu Hause zu beherbergen. Es war Ibo Minssen, mit dem wir befreundet waren und mit dem wir seit 2004 gemeinsam den Kölner Karneval fotografierten.

Ibo Minssen, Köln 2005 

 

Ich war erstaunt, wie viele Menschen mich unterstützt haben! 

Christina Radacks Bekannter Uwe Fechner gab mir die Möglichkeit, in einem Labor in seiner Wohnung Fotografien für meine Ausstellungen zu drucken.

 

Uwe Fechner, Berlin 1992 

 

Ich mag Berlin. 

 

Berlin 1992

Im Oktober 1832 schrieb der deutsche Schriftsteller Heinrich Heine in einem Brief an seinen Korrespondenten, den Komponisten Ferdinand Hiller: "Fragt Sie jemand wie ich mich hier befinde (in Paris), so sagen Sie: wie ein Fisch im Wasser„. 

Dasselbe kann man auch über mich sagen.

Übersetzung ins Deutsche: Andreas Ottmer, Osnabrück 

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